Grenzenlos in der Altmark

Von den Reitbedingungen im Norden Sachsen-Anhalts können Reiter in anderen Bundesländern nur träumen. Es gibt ein Reitwegenetz von 1600 Kilometern und auch quer feldein auf Erkundungstour zu gehen, ist meist möglich. Cornelia Höhling hat es ausprobiert.


Die "Diva" wartet schon ungeduldig. Aber zuerst hat die hübsche "Gräfin" einen Liebhaber gefunden. Auch die "Comtesse" wird besitzergreifend zur Seite gezogen. Die Neuankömmlinge sind sich schnell einig, wer mit wem. Dann schwingt sich auch der Letzte auf den Rücken seines Pferdes. "Reiten ist überall dort erlaubt, wo es nicht ausdrücklich verboten ist", spielt der Reiter mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart den Trumpf der Altmark aus. Sein Name: Eike Trumpf. Als Vorsitzender des Interessenvereins "Sternreiten in der Altmark" muss er es wissen.

"Bei uns im Norden Sachsen-Anhalts gibt es kaum Reitverbote", fügt er hinzu, als er die ungläubigen Blicke sieht. Vor allem die Gäste aus den westlichen und südlichen Bundesländern, die gewöhnt sind, allerorten auf Hindernisse zu stoßen, sind begeistert. Tatsächlich erweist sich das hiesige Feld- und Forstordnungsgesetz als ausgesprochen reiterfreundlich. Es erlaubt, die ausgeschilderten Reitwege zu verlassen und sich auf allen vorhandenen Sand-, Feld- und Waldwegen die Landschaft zu erschließen. Die Sandwege sind mitunter so breit, dass vier Reiter nebeneinander galoppieren können. Dabei verfügt die Altmark ohnehin über ein zusammenhängendes Reitwegenetz mit einer Gesamtlänge von 1600 Kilometern, das in Mitteleuropa seinesgleichen sucht.

Im Zentrum des Städtedreiecks Berlin-Hamburg-Hannover gelegen, ist die Altmark mit einer Fläche von 4500 Quadratkilometern doppelt so groß wie das Saarland. Sie gehört zu den eher dünn besiedelten Gebieten Deutschlands. Eine reizvolle und noch vielfach urwüchsige, weil unverbaute Landschaft mit zahlreichen kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten macht den Urlaub mit und auf dem Pferd zum einzigartigen Erlebnis. "Insgesamt haben wir rund 50 Gestüte, Reiterhöfe und Stallungen in der Region", sagt Trumpf auf dem Erkundungsritt. Erstes Ziel ist die Fähre von Sandau an der Elbe, wo Otto von Bismarck, der spätere Reichskanzler, einst Deichgraf war.

"200 Routen sind ausgewiesen. Es wurden Furten gebaut, Infotafeln, Schutzhütten und Anbindevorrichtungen aufgestellt", verkündet Trumpf nicht ohne Stolz. "Sternreiten in der Altmark e.V." hat eine große Aktie daran, dass Freizeit- und Sportreiter hier gleichermaßen auf ihre Kosten kommen. "Wir haben Trails zusammengestellt und kartografiert, etwa von Schloss zu Schloss oder auf den Spuren der Sagen." Von beiden gibt es genügend: ein wahrhaft sagenhaftes Gebiet mit gut 300 Herrensitzen. Allein 18 Sagenstandorte hat der Verein aufgearbeitet, der in diesem Jahr sein 12-jähriges Bestehen feiert.
"Sternreiten e.V." hat schon 36 Mitglieder mit eigenen Pensionen und Reiterhöfen, und es werden immer mehr. Sie stellen Reitlehrer und Leihpferde wie "Diva", "Comtesse" und "Gräfin". Es gibt Voltigiergruppen, Kremser- und Kutschfahrten sowie Wanderreiten. Selbst Planwagen in guter alter Wildwestmanier sind bei Jens Wede buchbar. Der Elektromeister hat auch aufs Pferd gesetzt und betreibt im Dammkrug Güssefeld ein Heuhotel. Die alte Poststation von 1406 an der Heerstraße Lüneburg-Magdeburg steht unter Denkmalschutz. "Hier soll einst der Alte Fritz geschlafen haben", schwärmt der 42-jährige Pferdenarr genauso für die Geschichte wie für die Naturlehrpfade seiner Heimat.

Denn Wede ist einer der wenigen Einheimischen, die sich für die Pferde engagieren. Wie Bernd Prüfert wurden viele der Vereinsmitglieder von den Schwarzstörchen und Bibern, Schlössern und Gutshöfen in die Altmark gelockt. Der Schleswig-Holsteiner betreibt jetzt Hotel und Restaurant Gutshaus Büttnershof. Auch die Menners aus Bayern haben ihr Herz an die Altmark verloren und den Reiter- und Radlerhof Wolterslage eröffnet. "Ganz gleich, ob mit Pferd oder Drahtesel, alle sind hier willkommen", sagt Friederike Menner.
Thomas Schulz aus Lemgo in Nordrhein-Westfalen, der mit seinem Vater einen der altmarktypischen Vier-Seiten-Höfe zur Reiterpension Landhotel Mehrin ausbaute, pflegt gute Kontakte zu den Altmärkern. Seine Gäste schickt er gleich mal ins fünf Kilometer entfernte Meßdorf zu einer Bauersfrau. Frau Tinneberg freut sich über jeden Besuch. "Bei ihr kriegen sie Kaffee und Kuchen, können die Pferde anbinden und notfalls auch duschen. Das finden die Reiter urig", erzählt er. Es gibt viel zu entdecken, wo sich die Straße der Romanik mit alten Handelswegen der Hanse und dem Altmärkischen Bier- und Hopfenpfad kreuzt, und sei es eine Überquerung der Elbe mit einer Gierseilfähre oder ein Bad mit "Diva" an der Havel.


Weiterführende Informationen:
Die Altmark gehört zu den wenigen naturbelassenen Landschaften in Deutschland. Pferdezucht und Pferdesport haben hier eine lange Tradition.
Sie ist mit dem Auto und mit der Bahn gut zu erreichen. Der ICE Berlin-Hannover hält in Stendal, der größten Stadt der Altmark, die von Albrecht dem Bären 1160/65 gegründet wurde.

Gierseilfähren über die Elbe: in Arneburg, Sandau/Elbe (ganzjährig), Werben und Grieben.

Sehenswerte historische Bauten aus der Hansezeit in den Hansestädten Tangermünde, Stendal, Osterburg, Havelberg, Salzwedel, Gardelegen, Werben, Seehausen.

Rund 1600 Kilometer kartierte Reitrouten: z. B. Altmarktrail (180-200 bzw. 220 km), Altmärkischer Bauernhoftrail, Wanderritte von Schloss zu Schloss als 4- oder 5-Tage-Schlössertrails, Elbe-Havel-Trail (ca. 100 km), Wochenendtrail, Sagentrails. Zur Erleichterung der Orientierung wurde ein wetterfester Reitatlas im Maßstab 1:50.000 erarbeitet.

Unterkünfte und weitere Informationen: www.sternreiten-altmark.de, www.altmark-reiten.de. Interessenverein Sternreiten in der Altmark e.V., Hauptstr. 46, 39596 Hohenberg-Krusemark, Tel.: 039394/ 813-39, Fax: -12, E-Mail: sternreiten-altmark@web.de

Fotos Cornelia Höhling
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