Maultiere – die etwas anderen Pferde

Maultiere werden in Entwicklungsländern als Last- oder Zugtiere eingesetzt und sind in Deutschland nicht sehr weit verbreitet. Dabei vereinen diese Hybriden die besten Eigenschaften von Pferd und Esel in sich und eignen sich nicht nur wunderbar als Reittiere, sondern auch als Freunde fürs Leben.

Wenn Jule wiehert, klingt das nach Pferd. Erstmal! Am Ende schlägt plötzlich der Vater durch und aus dem Wiehern wird ein lang gezogenes I-aaah… Jule ist ein Maultier. Ihre Mutter war eine Norweger-Stute, ihr Vater ein Esel. Die zwölfjährige Stute lebt auf Hof Honerath in der Eifel, zusammen mit fünf Pferden und zwei weiteren Mulis. Drei Maultiere auf einmal zu besitzen, das ist in Deutschland schon recht ungewöhnlich. Hierzulande haben die Langohren kaum eine Bedeutung, ganz im Gegensatz zu den USA. Dort waren Maultiere maßgeblich an der Erschließung des Westens beteiligt und dienten vielen Cowboys als Reittiere. Seit den 1950er Jahren ging in den Industrieländern die Zahl der Maultiere aber stark zurück. Moderne Landmaschinen und LKW übernahmen die Arbeit der Langohren. In weniger entwickelten Ländern spielen sie aber noch immer eine wichtige Rolle. So wurden nach dem schweren Erdbeben in Pakistan und Kaschmir im Herbst 2005 über 2000 Maultiere der pakistanischen Armee eingesetzt, um die betroffene Bevölkerung in dem schwer zugänglichen Gebiet zu versorgen.
Der größte Maultier-Bestand innerhalb Deutschlands befindet sich in den Händen der Bundeswehr. Die Mulis dienen den Gebirgsjägern als Lasttiere. Auf der Equitana 2009 präsentierten die Soldaten mehrmals täglich ihre Maultiere, die schnell zu Publikumslieblingen avancierten.

Jule ist für ihre Besitzer kein Lastenträger, sondern Reittier, Kuscheltier und Kumpel. Besonders gerne mag sie es, wenn man ihre langen Ohren krault. Hanno Pilartz und seine Frau Dagmar sind absolute Maultier-Fans. "Die Liebe zum Muli hat meine Frau mit in die Ehe gebracht", erzählt Hanno Pilartz. Und offenbar hat sie ihren Mann sehr schnell damit angesteckt. An seinen Langohren schätzt Hanno ihre Trittsicherheit, das bequeme Reiten und vor allem die Klugheit der Tiere: "Maultiere sind entschieden intelligenter als ihre Eltern."
Aber im Umgang mit den Hybriden darf man es weder an Geduld noch an Konsequenz mangeln lassen. "Wer mit Pferden gut klar kommt, muss noch lange nicht mit einem Langohr zu Recht kommen", so Hanno Pilartz. Seine Frau bezeichnet Maultiere als "Schwachstellen-Tester", was den Charakter ihrer Reiter und Führer angeht. Kleine Schwächen, die ein Pferd vielleicht verzeiht, bringen ein Muli dazu, selbst das Ruder zu übernehmen. Wenn es seinen Reiter aber akzeptiert, ist es ein sehr verlässlicher Partner. Und so verwundert es wenig, dass Hanno und Dagmar schon einige Gäste ihrer Wanderreitstation "Hof Honerath" von den Vorzügen der Langohren überzeugen konnten - nicht zuletzt die Autorin selbst! (Obwohl es zugegebenermaßen drei volle Tage gedauert hat, bis Jule einsah, dass in unserer kurzen Beziehung ich die Hosen anhabe, und dass sie mir vertrauen kann.)
In gefährlichen Situationen neigen viele Mulis wie ihre Eselväter dazu, "festzufrieren" und keinen Schritt mehr zu tun, anstatt zu fliehen wie Pferde. Dann braucht es Ruhe und Geduld, um das Langohr zum Weitergehen zu bewegen. Wer hier wütend oder laut wird, hat gar keine Chance. Mulis passen eben sehr gut auf sich selbst auf.

Unter dem Sattel geht Jule fleißig vorwärts. Im Trab bietet die Stute zwei Varianten an, einen gemütlichen Jog und einen flotteren Trab, der sich aber sehr gut aussitzen lässt. Ihr Galopp ist weich. Insgesamt lässt es sich auf einem Muli sehr bequem über mehrere Stunden reiten.
Da Maultiere schmale Schulterblätter haben, empfiehlt sich für Ritte in bergigem Gelände nicht nur Vorder-, sondern auch Hinterzeug. Sonst kann der Sattel auf den Hals rutschen.
Trittsicherheit, angenehm zu sitzende Gänge und Ausdauer machen Mulis zu idealen Wanderreittieren. Auf dem Platz im Zirkel zu gehen, finden Maultiere meist nicht besonders sinnvoll, da kann es schon mal vorkommen, dass sie sich einfach verweigern.

Die Hybriden sind nicht fortpflanzungsfähig. Sie bilden keine Geschlechtszellen, da durch die Vermischung des Erbgutes von Pferd und Esel ein ungerader Chromosomensatz entsteht. Fruchtbare Stuten kommen in Einzelfällen zwar vor, Hengste aber sind stets unfruchtbar. Da Maultiere bei ihrer Pferdemutter aufwachsen, sind sie auch von Pferden geprägt und halten sich selbst für solche. Maulesel dagegen haben eine Eselstute zur Mutter und einen Pferdehengst zum Vater. Sie werden von Eseln aufgezogen und durch diese geprägt.

Grundsätzlich vertragen sich die Langohren sehr gut mit anderen Tieren. Wenn Gefahr droht, können sie aber schon mal ungemütlich werden und angreifen, anstatt die Flucht anzutreten. Mit ihren Hufen, die in alle Richtungen ausschlagen können, sind Maultiere in der Lage, sich und ihren Reiter gegen Wölfe oder Pumas zu verteidigen. Es sind Fälle belegt, in denen ein Muli ein angreifendes Tier sogar getötet hat.
Die Hybriden sind robuster als Pferde und wegen ihrer dickeren Haut weniger empfindlich gegenüber Kälte oder Hitze. Mit ihren kleinen, harten Hufen können viele Maultiere wie ihre Eselväter "einspurig" laufen, also einen Huf genau vor den anderen setzen.

Das Muli ist besonnen, ausdauernd und trittsicher wie ein Esel, aber auch kräftig, mutig und ähnlich willig wie ein Pferd. Zudem ist es äußerst langlebig. Ein Alter von 40 Jahren ist beim Maultier keine Seltenheit, einzelne Tier sollen schon über sechzig Jahre alt geworden sein.
Das längste Pferderennen der jüngeren Vergangenheit, das "Great American Horse Race", welches 1976 in den U.S.A. über 5000 km von der Ost- zur Westküste führte, wurde von dem Muli Lord Fauntleroy unter dem damals 62-jährigen Virl Norton gewonnen. Der Wallach war aus einer Vollblut-Stute von der Rennbahn und gewann mit neun Stunden Vorsprung auf das schnellste Pferd. Bei seinem Sieg war er 7 Jahre alt, er starb 2006 nach einer langen, erfolgreichen Karriere als Langstrecken-Renner im Alter von 37 Jahren.
Die hervorragenden körperlichen Eigenschaften dieser Tiere verleiteten Charles Darwin zu der Aussage: "Das Maultier scheint mir ein sehr erstaunliches Tier zu sein; es macht den Anschein, dass hier die Kunst die Natur übertroffen hat."
Was Darwin nicht wusste: Wo im südlichen Kalifornien verwilderte Hauspferde (Mustangs) und verwilderte Esel (Burros) zusammen auf kargem, wüstenartigen Regierungsland weitab jeglicher Zivilisation leben, kommen auch wild gezeugte Mulis vor. Mitunter scheinen Pferdestuten auch aus freien Stücken Eselhengste als Väter ihres Nachwuchses zu schätzen.

Fotos: N. Buch
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