Die Ausbildungsskala eines Pferdes

Hier spricht der Profi: Reitwartin und Reitlehrerin Mandy Valentin-Jäkel erklärt, was es mit den Begriffen "Takt - Losgelassenheit - Anlehnung - Schwung - gerade richten - Versammlung" auf sich hat.



Immer wieder stellt sich die Frage: Wie arbeite ich mit meinem Pferd richtig?
Einen ganz bedeutenden Leitsatz als Antwort finde ich in der Ausbildungsskala. Wichtig zu wissen: Er gilt für Pferd und Reiter gleichermaßen!

Aller Anfang ist der richtige Takt.

Takt
Wie finde ich den richtigen Takt? Grundregel: Schaffen Sie die Voraussetzungen bei sich selber und übertragen Sie sie dann auf das Pferd.
Die Voraussetzungen sind:
1. Innere Ruhe
Schon beim Putzen und Satteln den Alltag hinter sich lassen, versuchen, abzuschalten und sich auf die Zeit konzentrieren, die Sie nun mit Ihrem Pferde verbringen.
2. Gelassener Start
Vor dem Aufsteigen eine Runde mit dem Pferd an der Hand durch die Halle oder über den Platz gehen, dabei entspannt durchatmen.
3. Entspannte Kontrolle
Jede Gangart des Pferdes, egal ob Schritt, Trab oder Galopp, sollte sich geregelt, locker und mit Tendenz nach vorn anfühlen. Wenn der Reiter das Tempo (Takt) am Bein und mit Unterstützung des Beckens (locker mitschwingen vorwärts, ruhiger bis innehalten langsamer) vorwärts wie rückwärts kontrollieren kann, ist das Ziel erreicht. Denn ein zu langsames Pferd bekomme ich nicht ohne weiteres schneller, daraus folgt zu langsam (also Schwung im Takt erhalten) und ein zu eiliges Pferd bekomme ich nicht ohne weiteres ruhiger, daraus folgt das Tempo ist zu eilig. Liege ich dazwischen, habe ich einen guten Takt gefunden, der sich auch gut anfühlt. Das Pferd entspannt sich und ich bin bei der Losgelassenheit.

Losgelassenheit
In dem sich gut anfühlenden Takt kann sich das Pferd entspannen, den Kopf fallen lassen, den Bauch anspannen und den Rücken aufwölben. Die Beine haben nun genügend Zeit, große Schritte zu machen (guter Takt). Das Pferd gewinnt an Ausdruck, je nach Temperament kann dieser Prozess schon mal eine längere Zeit der Reitstunde in Anspruch nehmen. Diese Zeit sollte man sich aber nehmen. Dann kommt automatisch die Anlehnung.

Anlehnung
Vor allem bei jungen Pferden ein ganz wesentlicher Teil der Ausbildung. Bei einem bereits ausgebildeten Pferd ist die Anlehnung vom Anfang der Reitstunde an vorhanden und muss dann aber noch verfeinert werden.
Wie bei der Losgelassenheit beschrieben, lässt sich das Pferd, wenn es den Takt gefunden hat, leichter fallen. Nun ist es die schwierige Aufgabe des Reiters, vom Gebiss über die Zügel bis zur Reiterhand eine stabile und elastische Anlehnung herzustellen. In diese kann sich das Pferd wölben, es wird "rund". Die Anlehnung ist sehr facettenreich, da ich mein Pferd in verschiedenen (Höhen- Tiefen) einstellen kann.
Ein Tipp, wie man erkennt, wie tief oder nicht tief man sein Pferd reitet: Wenn ich den Takt und die Losgelassenheit in Pferd und Reiter behalte (was ich sollte), werde ich merken, dass mein Pferd größer wird und angenehmer von hinten schiebt, und ich es dann ohne Kampf höher lassen kann. Die Anlehnung sollte dabei stabil und elastisch bleiben.
Wenn mein Pferd das so macht, bin ich bereits beim Schwung angekommen.

Schwung
Den nun erreichten Schwung gehe ich als Reiter möglichst geschmeidig mit, um ihn beizubehalten. Ich kontrolliere mit Paraden das Tempo, denn dies ist die Phase, in der mein Pferd aufgrund des Schwunges auch mal schneller werden möchte. Doch der Reiter sollte diesen Vorwärtsdrang immer wieder durch Paraden in Takt und Schwung umwandeln. Ich habe noch nie mitgezählt, wie viele Paraden ich in einer Stunde gegeben habe, aber es sind viele! Der Fleiß zahlt sich aber aus, eine zu späte oder gar ausgelassene Parade äußert sich dann meist am Ziehen des Zügels.
Wenn mein Pferd so schwungvoll an die Anlehnung herantritt, wird es auch gerader und ich bin bei dem Geraderichten angekommen.
Geraderichten:
Gemeint ist hier, dass das Pferd mit der Hinterhand in Richtung Vorhand tritt. Jedes Pferd hat eine natürliche "Schiefe" die ich beim Reiten gerade richte. Es nimmt Gewicht auf die Hinterhand und kommt wiederum vorn mit dem Genick selbstständig höher, wenn ich es als Reiter durch Erkennen und Können zulasse.
Nun ist mein Pferd gut vorbereitet und ich kann es versammeln.

Versammlung
Ich habe erarbeitet, dass sich mein Pferd trägt ( Genick am höchsten Punkt), trotzdem im Rücken locker bleibt und aktiv von hinten in Richtung Vorderhand tritt. Ich kann jetzt den Schwung, etwas verhaltener, vermehrt nach oben (das Pferd fußt kräftiger ab) reiten - bis hin zur Piaffe, dem höchsten Grad der Versammlung.

Alle diese Punkte schaffe ich bei einem jungen Pferd erst nach Monaten. Wie lange es dauert, richtet sich nach dem Können des Reiters und nach dem Exterieur des Pferdes. Ein von sich aus ruhiges geschlossen gebautes Pferd hat es leichter als z. B. ein sehr langes Pferd.

Sie sind Freizeitreiter oder ein nicht so sehr erfahrener Reiter, haben diesen Text gelesen und stellen sich vielleicht die Frage: "Schade ich meinem Pferd, wenn ich es nicht bis zur Versammlung reiten kann?" Nein, das tun Sie nicht, aber am Takt, der Losgelassenheit und der Anlehnung in Verbindung mit Ihrem Sitz (dadurch richtige Hilfegebung) sollten Sie arbeiten. Dann fühlt sich Ihr Pferd unter Ihnen wohl.

Foto: Templermeister, Pixelio

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